Der Weg zur Konversion
      Seit Anfang 1810 hatte eine seelische Krise eingesetzt, infolge derer 
        sich Brentano innerlich immer mehr vereinsamt fühlte, eine Stimmung, die 
        wohl mehrere Romantische Leitfiguren befallen haben mag, denn auch sie 
        blieben nicht ewig jung und die Protesthaltung einer verabsolutierten 
        Subjektivität wich einer inneren Leere. Ein Faktor, den alle Romantiker 
        in Berlin oder Wien getroffen haben mag, ist der Beginn des Massenzeitalters. 
        Berlin mit seinen 200.000 Einwohnern (1818) war nicht Jena, Göttingen 
        oder Heidelberg, Kleinstädte, in denen noch jeder jeden kannte, deren 
        Universitäten durchaus übersichtlich waren. Sowohl in den frühen "Metropolen" 
        als auch in den Massenheeren verlor sich das Individuum und führte den 
        romantischen Individualismus ins absurde, auch wenn die Bilder von einigen 
        "Helden", wie Körner oder Schill den Krieg romantisch verklärten. 
        Die romantische Ablehnung von Konventionen allein konnte keine positive 
        Utopie begründen, also tragfähige Entwürfe für das individuelle oder gesellschaftliche 
        Leben liefern, noch konnte sie aus dem Dualismus "Vernunft" 
        versus "Gefühl" etwas Drittes entwickeln. Hier liegt die Tragik 
        der "Urromantik" die sich den folgenden romantischen Bewegungen, 
        angefangen vom Fernweh Karl Mays, über den Wandervogel, Hitlerjugend oder 
        der Hippiebewegung wiederholen sollte. Sie mündeten entweder in Katastrophen 
        oder versandeten in esoterischen Sekten.  
         
        Die Hinwendung zur Religion war für einen ansehnlichen Teil der Romantiker 
        die letzte Möglichkeit, dem realen Leben - dem Philistertum - zu entfliehen. 
        Der Preis war Verrat und Kapitulation zugleich, indem alle Prinzipien 
        der Romantik zugunsten der Unterordnung unter konfessionelle kirchliche 
        Zwänge aufgegeben wurden . Dem Lebensentwurf der unbregrenzten Möglichkeiten 
        in der Früh- und Hochromantik folgte die zäh - schwere Erbauungsliteratur 
        von Görres und Brentano oder schwülstig - naive Reimchen à la Hensel. 
        Brentanos Konversion weicht in den Motiven von den anderen jedoch ab. 
        Brentanos Konversion ist nicht ästhetisch oder intellektuell begründet, 
        noch ist sie im Herkommen angelegt. Sie ist Folge einer gebrochenen Lebenslinie, 
        Lebensunfähigkeit und Halt und Schutz suchenden Schwäche.  
         
        Insofern man Brentanos Seelenkrise als chronisch betrachtet, kann hier 
        nur von einer Verschärfung die Rede sein. Eine anhaltende Reihe von Umständen 
        führte hierzu. Brentanos Leben verlief unstet und ungebunden. Dazu kamen 
        persönliche Katastrophen, einmal der Verlust Sophiens, darauf die gescheiterte 
        Ehe mit Auguste Bußmann, dann die starke Veränderung in der Beziehung 
        zu Arnim und Bettina und letztlich war der schriftstellerische Erfolg 
        nach "Des Knaben Wunderhorn" eher bescheiden geblieben und in 
        Wien hatte Brentano gerade ein künstlerisches Desaster hinter sich.  
         
        Brentano fehlte der eigentliche Halt im Leben, er unternahm einige Versuche, 
        diesen Halt zu finden. So übte er sich in Mathematik, nahm Zeichenunterricht 
        bei Schinkel und überlegte einen Beruf zu ergreifen. Wien hatte ihm die 
        Möglichkeit der Flucht in die katholische Religion gezeigt, die er früher 
        als Kerker der Seele verachtete. Die Kirche der Poesie, die er bevorzugte, 
        konnte ihm den Halt nicht mehr geben, nachdem die meisten Protagonisten 
        der Frühromantik vor dem bürgerlichen Leben kapituliert hatten, es diese 
        Kirche als Gemeinschaft der Poeten faktisch nicht mehr gab.  
         
        Brentano weilte, nachdem er einige Zeit in Wiepersdorf bei den Arnims 
        verbracht hatte, seit dem Spätherbst 1814 wieder in Berlin. Brentano war 
        nach seiner Rückkehr nach Berlin hochdepressiv, er war geplagt von Schuldgefühlen 
        und innerer Leere. Eine Tendenz hin zur Kirche deutete sich in seinen 
        Aussagen klar ab. Seinen innerer Zustand legte er in einem Brief an Wilhelm 
        Grimm 1815 dar:  
         
        "...mir ist oft, ja meist, als gehöre ich nicht mehr zu den Lebendigen. 
        Mein ganzes Leben habe ich verloren, teils in Sünde, teils in falschen 
        Bestrebungen. Der Blick auf mich selbst vernichtet mich, und nur wenn 
        ich die Augen flehend zum Herrn aufrichte, hat mein zitterndes, zagendes 
        Herz einigen Trost."  
         
        Ludwig v. Gerlach schilderte Brentano um 1814/15:  
         
        Mit mir von Savignys nach Hause gehend, sagte er:"Er hoffe nichts 
        mehr in der Welt, - am Ende komme der Tod - dem lieben Gott sei er ganz 
        gut und der ihm auch. Das sei ja ganz charmant - er habe noch nie eine 
        vergnügte Stunde gehabt - ihm etwas schenken oder ihm Gesellschaft bitten 
        mache ihm kein Vergnügen; wenn man lieber statt dessen Gott bäte, ihm 
        seine Sünden zu vergeben! - Mädchen, wenn sie holdselig machen mir Freude, 
        aber dann dreht sich mit einem Male das Auge um; ich muß sie von allem 
        Fleisch entkleiden und sehe nichts als das Gerippe und den Totenkopf." 
        - Er lernt jetzt rechnen und treibt Algebra, er sagt, das sei ihm verhaßt; 
        aber darum tut er es, weil ihm das einen Widerstand, einen Druck gebe; 
        Dichten, Schreiben sei ihm zu leicht, er mache oft Witze, ohne lustig 
        zu sein; so könne er trefflich einen Betrübten trösten, ohne selbst Trost 
        zu empfinden; manchmal wundere er sich, wenn er seine eigene Hand sehe, 
        so sehr fehle ihm das Gefühl seiner eigenen Persönlichkeit. "Als 
        mich mein Vater erzeugte, hat er keinen Willen miterzeugt." - Ein 
        Gespenst!  
         
       
      Maikäferei
       Nichtsdestotrotz war er häufig zu Gast bei den verschiedenen 
        Salons und Abendkränzchen. Er hatte Umgang mit Fouqué, Chamisso, E.T.A. 
        Hoffmann, mit dem er gerne einen trank; bei seinen Schwägern Arnim und 
        Savigny war er häufig auf Besuch. Mit August Wilhelm Goetze und Friedrich 
        Karl v. Bülow begründete er im Dezember 1814 die Maikäferei (genannt nach 
        dem Wirt des Lokals an der Schloßfreiheit, Mai), eine Tischgesellschaft 
        ähnlich der Christlich Deutschen Tischgesellschaft. Der Ton unterschied 
        sich von dieser jedoch gravierend und die Mitglieder waren jünger. Dieser 
        Gesellschaft gehörten die drei Brüder Gerlach, Carl von Voss, Carl von 
        Rappard, August Wilhelm Goetze, Friedrich Karl von Bülow, Adolf von Thadden, 
        Albrecht v. Alvensleben zeitweise auch der jung gefallene Graf Christian 
        Stolberg und der Dichter Karl Thorbecke an. Die Teilnehmer an der Maikäferei 
        gehörten zum christlich - konservativen Teil der gesellschaftlichen Gruppierungen, 
        die liberale Ideen als "französisch" verachteten und den Preußischen 
        Reformen Hardenbergs und Steins ebenso ablehnend gegenüberstanden, wie 
        zuvor die Christlich Deutsche Tischgesellschaft. Das Hauptinteresse der 
        "Maikäfer" wäre nach den Erinnerungen Ludwig v. Gerlachs patriotisch-romantisch-genial-christliche 
        Poesie gewesen. Man sang Lieder und Brentano - als Mittelpunkt - trug 
        Gedichte vor.  
         
        Prägend für die "Maikäferei" war der in den preußischen Eliten 
        um sich greifende Neupietismus. Religiös - erbauliche Stimmung und Frömmigkeit 
        war eine direkte Reaktion auf die Befreiungskriege, in denen viele Teilnehmer 
        zurück zur Religion gefunden hatten. Die neupietistische Erweckungsbewegung 
        entwickelte sich in kleinen Zirkeln, entsprechend der katholischen Erneuerungsbewegung 
        in Münster und Landshut. Ihre Teilnehmer missionierten vornehmlich durch 
        persönliche Einwirkung von Mensch zu Mensch, die bald soziale Schranken 
        überschritt und Personen aller Stände erfaßte. An den Bestrebungen der 
        Berliner Pietisten nahm neben dem Adel auch das hohe Beamtentum Anteil; 
        der Kronprinz und Nicolovius - der im Ministerium über die Besetzung der 
        Kirchenämter zu entscheiden hatte - verschafften den pietistischen Kreisen 
        Einfluß. Leopold und Ludwig Gerlach aber auch Adolph v. Thadden waren 
        wohl die treibenden Kräfte, sie hatten in jedem Fall später die allergrößte 
        Wirksamkeit. Wichtig in Hinblick auf Brentano ist der überkonfessionelle 
        Charakter der Erweckungsbewegungen. Die Mystik war die gemeinsame Quelle, 
        ob protestantisch oder katholisch. Matthias Claudius und Friedrich Perthes, 
        Jacobi, Hamann und Nicolovius - er war Erzieher im Hause des konvertierten 
        Grafen Stolbergs gewesen, - sie alle pflegten enge Beziehungen zum Gallitzinschen 
        Kreis in Münster und zu Sailer in Landshut. Brentano selbst wendete sich 
        mehr und mehr der katholischen Erweckungsbewegung zu. Mit dem befreundeten 
        Sailer und dem ihm bekannten Ringseis nahm er wieder Kontakt auf und vermittelte 
        deren Briefe über die "Katholische Reformation" an v. Thadden 
        und Gerlach. Brentano war in der Maikäferei eine ideale Brücke zur Konversion 
        gebaut, er fand hier einen Nährboden, der seine weitere Entwicklung hin 
        zum mystischen Katholizismus entscheidend begünstigte.  
         
        1816/17 erschien der erste Band der "Restauration der Staatswissenschaft" 
        des Schweizers Carl Ludwig v. Haller. Hallers antiliberale Staatskonzeption 
        stieß in der konservativen Abendgesellschaft sofort auf Resonanz, die 
        sich schnell zur Begeisterung steigern sollte. In Hallers Entwurf verband 
        sich aristokratisches Standesgefühl mit religiöser Gläubigkeit. In der 
        ständischen Gliederung der Gesellschaft sah er eine von Gott gegebene 
        Ordnung, denn sie baute das soziale Leben von der Familie her auf, sie 
        bot mit dem gebundenen Bodenbesitz ein Moment des Beharrens. Der Staat 
        ginge aus einem Aufbau aus Familien und Korporationen hervor. Der Souverän 
        sei nichts anderes, als der größte Fideikommißherr neben den vielen kleineren, 
        die in ihrem Kreise ähnliche Herren sind, der Staat ist eine Familie im 
        großen, und der Fürst unterscheide sich von einem anderen Familienvater 
        nur darin, daß er keinen anderen Oberen über sich hat außer Gott.  
         
        Beide Strömungen - Neupietismus und Hallersche Staatslehre - verschmolzen 
        in der "Maikäferei" und radikalisierten sich. Als Brentano Berlin 
        1818 verließ, war dies kein Bruch, sondern eine konsequente Zuspitzung, 
        wobei Brentano den katholischen Weg wählte (den der kirchlichen Suprematie), 
        während die Gerlachs und andere sich dem protestantisch - preußischen 
        Neupietismus zuwandten und später politisch den ständischen Konservativismus 
        repräsentierten.  
         
         
       
      Konversion und Luise Hensel
       Auf einer Abendgesellschaft am 4. Februar 1816 im Savignyschen 
        Salon erwähnte Ludwig v. Gerlach am Soupertisch, daß er im April des vergangenen 
        Jahres die stigmatisierte Nonne in Dülmen besucht habe, was Brentano tief 
        berührte, der hier zum ersten Mal etwas von Anna Katharina Emmerick hörte, 
        so daß er auffuhr "Was? Das haben Sie gesehen und sitzen hier noch 
        und essen?" Gerlach:" Solchen Eindruck hätte ich nicht von derartigen 
        Wundern; wir seien ja rings umgeben von größeren Natur- und Geisteswundern 
        usw. Er fand dies kühl, altklug, prosaisch und machte ein Spottgedicht 
        auf mich, worin er mich sagen läßt:  
         
        Daß ich nicht wüßte,  
        Denn vieles ist kurios,  
        So meiner Mutter Brüste  
        Wie meiner Mutter Schoß  
         
        Die kränkte mich sehr - besonders als Goetze behauptete, in diesem Ton 
        hätte ich wirklich gesprochen. Es war mir tiefer Ernst mit meiner Antwort" 
         
         
        Gerlach befand sich1815 mit Stolberg in Blüchers Armee auf dem Weg nach 
        Ligny - Waterloo. Chr. Stolberg ist in der Schlacht bei Belle Alliance 
        gefallen. In seinem Tagebuch vom 9./ 10. April berichtet Gerlach: In Dülmen 
        besuchten wir (Chr. v. Stolberg u. Gerlach) die stigmatisierte Nonne, 
        sahen aber nur ein alltäglich weibliches Wesen auf einem Bette liegen, 
        die Wundmale verbunden; sie segnete Christian mit wenigen leisen Worten" 
         
         
        Das Thema "Emmerick" scheint Brentano im weiteren nicht besonders 
        interessiert zu haben. In höheren Kreisen nahm man jedoch von der Dülmener 
        Nonne Notiz, nachdem der Theologe und Arzt Dr. Johann Christoph Friedrich 
        Baehrens ein Buch über den "animalischen Magnetismus" herausgab, 
        welches einiges Aufsehen erregte. Dieses Friedrich Wilhelm IV gewidmete 
        Buch brachte den Fall Emmerick in Zusammenhang mit dem "tierischen 
        Magnetismus", eine Lehre, die eine späte Frucht der Aufklärung darstellte, 
        doch dazu später. Der "Streit um die Erscheinungen bei der Dülmener 
        Nonne Anna Katharina Emmerick" hatte damit Berlin erreicht und forderte 
        die staatlichen Autoritäten heraus.. Brentano wurde auf Baehrens Buch 
        von seinem Bruder Christian in einem Brief vom 13. Februar 1817 hingewiesen. 
        In einem weiteren Brief vom 17. Februar kündigte der Bruder seine Absicht 
        an, die stigmatisierte Nonne in Dülmen zu besuchen. Christian selbst hatte 
        sich zuvor mit den in Mode gekommenen "magnetischen Kuren" befaßt 
        und ließ sich auch mit dieser Methode behandeln. Im April 1817 erschien 
        er in Dülmen und blieb für drei Monate am Bett der kranken Nonne, an der 
        er magnetische Experimente vornahm.  
         
        Brentano hatte unterdessen im Oktober 1816 die frömmelnde Pastorentochter 
        Luise Hensel kennengelernt. Die Beziehung zur Hensel sollte unmittelbar 
        zu seiner Konversion und zu seinem Abschied aus Berlin nach Dülmen führen. 
         
         
        Am 10. Oktober besuchte Brentano eine Donnerstagssoiree im Hause des Staatsrates 
        Staegemann, dem alten Bekannten von der Christlich Deutschen Tischgesellschaft. 
        Veranstalter waren die Töchter, zu deren Freundinnen Luise Hensel gehörte. 
        Ob Brentano an diesem Abend auf Luise Hensel aufmerksam wurde ist unklar, 
        es gibt verschiedene Auskünfte. Den 38jährigen Brentano jedenfalls erinnerte 
        die 18jährige Hensel an seine Schwester Sophie.  
         
        Luise Hensel war die Tochter einer Pfarrerfamilie aus Linum und Schwester 
        des späteren preußischen Hofmalers Wilhelm Hensel. Nach dem Tod des Vaters 
        geriet die Familie in Not und zog im gleichen Jahr nach Berlin, wo Luise 
        kurz die Realschule besuchte. In dieser Zeit mußte sie zur Ernährung der 
        Familie beitragen. Die Mutter schien etwas sonderlich, sie schrieb Briefe 
        an ihr Ungeborenes und Selbstgespräche mit verstorbenen Familienmitgliedern 
        scheinen im Haushalt üblich gewesen zu sein. Luise war früh religiös interessiert, 
        entsprechend ihrer Unreife eher in einer gefühlsmäßigen Weise und war 
        ganz dem romantischen Zeitgeschmack entsprechend der protestantischen 
        Erweckungsbewegung zugetan. Um 1815/16 gehörte sie mit den Brüdern Gerlach, 
        A. W. Goetze, K. F. v. Savigny, F. K. Bülow einer kleinen pietistischen 
        Gemeinde an, die sich besonders um den Pastor Hermes geschart hatte. Zum 
        Zeitpunkt, als Brentano sie kennenlernte, stand Luise Hensel also seiner 
        Geisteshaltung auch über die Personen seines Freundeskreises sehr nahe. 
         
         
        "An Leib und Seele liebestrunken" trug sich Clemens Brentano, 
        bald nachdem er Luise Hensel kennengelernt hatte, mit dem Gedanken, sie 
        zu heiraten. Im Jahre 1816 hatte sich seine zweite Frau, Auguste Bußmann, 
        von der er seit 1811 gerichtlich geschieden war, wieder verheiratet. Brentano 
        konnte auch nach seinem katholischen Empfinden wieder eine Ehe eingehen, 
        war dafür sogar bereit, seine Konfession zu wechseln. Für Brentano war 
        die Verliebtheit eine Erlösung aus seiner depressiven Grundstimmung, er 
        empfand sie als Geschenk Gottes, entsprechend stark war sein Engagement 
        in der Affaire. Ende 1816 wurde Brentanos Werben um Luise Hensel immer 
        drängender und unnachgiebiger. Im Dezember war Luise Hensel schwer krank, 
        Brentano war vermutlich lange Zeit allein um sie, die Mutter weilte zwischen 
        November 1816 und Januar 1817 bei Luisens todkranken Schwester in Stettin. 
        Einen ersten verschlüsselten Heiratsantrag machte Brentano am Heiligen 
        Abend 1816, den er mit ihr und Wilhelm Müller gemeinsam verbrachte. Luise 
        Hensel war den Heiratswünschen nicht von vornherein abgeneigt, um den 
        erotischen Aspekt der Beziehung herrscht nach wie vor Unklarheit, weil 
        große Teile des Briefwechsels von Luise Hensel im Alter vernichtet wurden. 
        Bettine war jedoch überzeugt, Luise wäre Clemens' Konkubine. In Luise 
        Hensels Aufzeichnungen zwei Jahre später distanzierte sie sich völlig 
        von erotischen Ansprüchen Brentanos, diese ihre Ehe würde kinderlos und 
        keusch sein. Sowohl Luise Hensels Angehörige als auch die Mehrzahl von 
        Brentanos Verwandten waren bald eifrigst bemüht gewesen, einer Ehe der 
        beiden entgegenzuwirken und zu verhindern: "Meine Mutter", schrieb 
        Luise Ende 1816 an Brentano "...hält Dich nicht für gut, sie hat 
        aus Deinem Leben manches gehört, was sie für wahr hält, manche Schuld, 
        die ich Dir nicht zutrauen kann.....Meine Schwester ist auch argwöhnisch 
        und wird nicht verstehen, wenn ich ihr auch die Wahrheit sage." Trotz 
        der Vermittlungsbemühungen Wilhelm Hensels steigerte sich Frau Hensels 
        Abneigung gegen Brentano nach ihrer Rückkehr aus Stettin immer mehr, bis 
        zum brennenden Haß. Ende Januar unternahm Brentano einen zweiten Versuch 
        um die Hand Luisens anzuhalten, er wurde jedoch abermals von der Mutter 
        zurückgewiesen.  
         
        Die Zurückweisung der Hensels hatte Brentano äußerst schwer getroffen 
        und ihn offensichtlich in die Schwermut zurückgetrieben. Schon seit Anfang 
        Dezember nahm er nicht mehr an den Sitzungen der "Maikäferei" 
        teil, er befand sich letztlich in einer Sackgasse. So entschloß er sich 
        in den ersten Wochen des Februars 1817 zur "Umkehr" und legte 
        am 27. Februar bei dem Probst Taube, Vorsteher der katholischen Gemeindekirche 
        zu St. Hedwig in Berlin, seine Generalbeichte ab. Am 24. Januar 1817 hatte 
        schon Christian Brentano die Generalbeichte abgelegt, ein katholisches 
        Procedere, mit welchem üblicherweise das weltliche Leben beschlossen wird 
        und eine Ordens- oder Klerikerlaufbahn beginnt. Im Fall Christians und 
        unmittelbar darauf Clemens' bedeutete dies - beide waren katholisch - 
        die Anerkennung des Absolutheitsanspruch der katholischen Kirche. Die 
        Generalbeichte war in diesem Sinne eine Konversion, nun nicht von einer 
        Religion zur anderen, sondern eine Abwendung von der weltlichen Orientierung 
        - weg von der Kirche des Poetischen, weg von jeglicher Akzeptanz weltlicher 
        Ansprüche hin zum Ritus der Kirche unter Einschluß ihrer Heiligenverehrung 
        und mystischen Verklärungen. Genau hier liegt die Spannung für Brentano 
        im Fall Emmerick. Sein engagierter Einsatz gegen die staatliche Untersuchung 
        ebenso wie sein propagandistisches Wirken in und nach Dülmen sind in erster 
        Linie aus seiner Konversion zu erklären. Die Konversion selbst war jedoch 
        nicht Folge einer rationalen, intellektuellen Entscheidung, sondern ist 
        vor allem aus der psychischen Struktur des Lyrikers zu erklären, einer 
        Gesamtentwicklung, die in eine seelische Katastrophe führte. Brentano 
        selbst nannte den Vorgang "seelischen Konkurs". Brentano fand 
        in der Anlehnung an den Glauben eine Stütze, die er seit den Heidelberger 
        Tagen entbehren mußte, aber erst Dülmen, der Rückzug aus der Welt, wird 
        für ihn eine wirkliche Entspannung bringen. Den letzten Anstoß zu dieser 
        Entscheidung gab die Zurückweisung der Hensels, wobei ihn Luise zur Generalbeichte 
        drängte, sei es um sich seiner Klagen zu entledigen, sich vor seinem Drängen 
        Luft zu verschaffen oder ihm überhaupt wieder irgendeine Richtung zu geben. 
        Brentano seinerseits drängte Luise Hensel nach der Generalbeichte zur 
        Konversion zum Katholizismus.  
         
        In Brentanos Freundeskreis wurde die Verbindung mit Luise Hensel Anfang 
        Februar bekannt und eher kritisch betrachtet. Sie galt als verdrehtes 
        Ding, der Liäson wurden keine Chancen eingeräumt. Auch die Konversion 
        selbst fand kaum Beachtung. "Ich finde nicht", bemerkte Gerlach 
        viele Jahre später zu dieser Tagebuchnotiz, "daß dieses doch so bedeutende 
        Faktum auf unseren Kreis einen besonderen Eindruck gemacht hätte". 
         
         
        Im November 1817 kam Christian Brentano zu seinem Bruder nach Berlin, 
        nachdem er sich im Sommer drei Monate bei der stigmatisierten Emmerick 
        in Dülmen aufgehalten hatte. In Berlin lernte Christian Luise Hensel kennen, 
        zu deren Konversion er nicht unwesentlich beitrug.  
         
        Nach der Konversion blieb die Beziehung zur Hensel eine reine Seelengeschwisterschaft, 
        die allerdings einige literarische Auswirkung haben sollte. Brentano äußerte 
        im August 1818 Gerlach gegenüber, sie sei von allen, die er gekannt hatte, 
        die Ausgezeichnetste und Tiefste. Seit zwei Jahren sähe er sie täglich. 
        Mit ihr hatte, ähnlich wie mit Sophie Mereau und Arnim eine schriftstellerische 
        Produktion im Sinne der romantischen Kontamination eingesetzt. In den 
        literarischen Produkten der Hensel sind kaum ihre Anteile oder die Brentanos 
        herauszufiltern. Luise Hensels bekanntestes Gedicht ist das "Müde 
        bin ich, geh zur Ruh'", andere sind weitgehend in Vergessenheit geraten, 
        vermutlich, weil sich ihre naiv - pietistischen Anschauungen schon lange 
        überlebt haben und niemanden mehr berühren, außer vielleicht einige Germanisten. 
        Um Luise Hensel warben nach Brentano weiterhin junge Männer der Gesellschaft. 
        Ihre Zuneigungen galt aber vor allem Ludwig v. Gerlach. Ob Gerlach diese 
        Zuneigung spürte und erwiderte ist umstritten.  
         
        Durch den Besuch Christian Brentanos sind die Dülmer Ereignisse für den 
        Kreis um Brentano noch einmal aktualisiert worden. So verfaßte Achim von 
        Arnim eine Romanze mit dem Titel "Heilige Zeichen". Das Gedicht 
        veröffentlichte er in der Wünschelruthe (Nr.45, 9.2.1818), eine Publikation, 
        an der neben Arnim auch Brentano und die Grimms mitarbeiteten. Inzwischen 
        hatte sich der Fall der Emmerick zu einem Gegenstand des öffentlichen 
        Interesses auch in Berlin ausgeweitet. In der "Wünschelruthe" 
        Nr. 52 vom 29. Juni erschien eine Nachricht über die "Nonne von Dülmen": 
         
         
        "Im Städtchen Dülmen im Münsterlande", heißt es in dem Aufsatze, 
        "lebt eine gewesene Nonne Catharina Emmerich, die nach Aufhebung 
        ihres Klosters (Agnetenberg in Dülmen) zu ihrer Schwester daselbst gezogen 
        ist. Diese hat jetzt schon seit sechstehalb Jahren an ihrem Körper die 
        sogenannten Wundmale ... Sie ist 40 Jahre alt, sehr mager, hat ein eingafallenes 
        Gesicht, das sehr weiß, sehr lieblich und fromm, und schöne sanfte Augen. 
        Ihr früherer Lebenswandel ist unbescholten, sie ging früh ins Kloster 
        und war immer still und freundlich, lebte sehr fromm und hielt viel auf 
        die strengern Andachtsübungen. Schon im Kloster kränklich, ward sie bald 
        nach Aufhebung desselben bettlägerig." Sie aß fast nichts, behielt 
        keine Nahrung, außer dem heil. Abendmahl bei sich, das Volk sah darin 
        Wunder. Die französische Regierung veranlaßte 1813 eine Untersuchung und 
        Bewachung der Nonne durch 30 rechtliche Bürger unter Aufsicht eines Arztes. 
        Ihr Bericht und eidliche Bekräftigung ist in dem Vicariatsarchiv zu Münster 
        niedergelegt. Auch andre Aerzte untersuchten sie. Als ein hoher münsterscher 
        Geistlicher bei einer Audienz beim Papste von ihr erzählte, hat dieser 
        sich alles auf das genaueste berichten lassen, darauf aber gesagt, man 
        müsse die Zeit erwarten und vor Trug sich ernstlich hüten.".  
         
        Im Spätsommer 1818 drängte Luise Hensel, wohl weil seine Gegenwart ihr 
        zu bedrängend wurde, Brentano dazu, eine Einladung des Grafen Friedrich 
        Leopold Stolberg zu dessen Gut Sondermühlen anzunehmen. Der Sohn des Grafen, 
        Cajus Stolberg, gehörte in den Umkreis der "Maikäferei". Er 
        notierte dazu in seinTagebuch am 14. September 1818:  
         
        Brentano will nach Münster und zum Grafen Stolberg. Gestern war er empört 
        über das neue Verfahren gegen die Dülmer Nonne:"Die Königl. Preußische 
        Regierung in Münster - zwei Geistliche wären gewonnen, die ihr das Urteil 
        vorher gemacht. Es wäre unendlich, was über einer solchen Quälerei an 
        inneren Gnaden verloren ginge - sie fühlte die inneren Schmerzen: 'Siehst 
        Du, warum hast Du's jemanden gesagt.' Protestanten sollten keine katholischen 
        Untertanen haben - sie sollten auseinander. Durch dies und ähnliches Benehmen 
        der preußischen Behörden und durch das Reformationsfest sei dort und am 
        Rhein die Spannung auf das höchste gestiegen."  
       
       
         
       
      Der Propagandist
       Brentano kam am 24. September 1817 in Dülmen an, nachdem 
        er zuvor den Grafen Stolberg auf dessen Gut Sondermühlen nahe Bielefeld 
        besucht hatte. Am 23. September war er in Münster, wo er Bernhard Overberg 
        aufsuchte. Sailer, den Spiritus Rector der Erweckungsbewegung in Landshut, 
        hatte er dort verpaßt. Brentano kannte Sailer aus seiner Landshuter Zeit 
        über Savigny, der bevor er 1810 nach Berlin ging in Landshut zum Professor 
        berufen worden war. In den Jahren zuvor hatte Brentano die Bekanntschaft 
        wieder aufgefrischt, im übrigen blieb Brentano über Apollonia und Melchior 
        Diepenbrock mit Sailer verbunden. Die Bedeutung Sailers und Diepenbrocks 
        kann für die katholische Erneuerungsbewegung kaum überschätzt werden. 
        Sailer war im September in Münster, suchte die bettlägerige Emmerick in 
        Dülmen aber erst ende Oktober auf. Diepenbrock und Sailer zusammen sandten 
        an die Emmerick im Jahr 1821 sogar einen Brief, indem Diepenbrock bedauerte, 
        sich nicht an ihr erbaut zu haben.  
         
        In Dülmen blieb Brentano entgegen seiner ursprünglichen Absicht längere 
        Zeit. Er mietete sich dort ein und besuchte die Kranke zweimal täglich. 
        In der Zeit bis Weihnachten machte er Aufzeichnungen für Luise Hensel, 
        die eine Fülle biografisches Material der Emmerick enthalten. Er nannte 
        diese "Ein Tagebuch für Luise Hensel", seine Intention dabei 
        war, Luise Hensel zur Konversion zu bewegen oder diesen Prozeß zu beschleunigen. 
         
         
        Für seine andauernde Anwesenheit in Dülmen fügten sich für Brentano verschiedene 
        Motive zusammen:  
       
      
        - mit Luise Hensel und Anna Katharina Emmerick gemeinsam 
          ein heiligenmäßiges Leben zu führen 
 
         
        - in der Auseinandersetzung gegen Aufklärung und preußischem 
          Staatsanspruch im Sinne der katholischen Erweckungsbewegung propagandistisch 
          tätig zu werden 
 
         
        - eine Lebensaufgabe zu finden, indem er mithilfe der 
          Emmerick eine Heiligenvita in Arbeit nahm 
 
         
        - und als nicht mindestes, zur Ruhe zu kommen, seinen 
          Depressionen zu entfliehen, indem er eine politisch-religiös verkleidete 
          "Auszeit" zu nahm. 
 
         
       
       
       
        Brentano sitzt begeistert am Krankenbett, protokolliert jeder Regung und 
        Äußerung der Kranken. Von den Blutungen nimmt er Abdrücke und verschickt 
        sie. Die Extasen der Nonne lassen sich von ihm in gewünschte Richtungen 
        lenken, ebenso die Visionen.  
         
        Ein wichtiger Gegenstand der Gespräche Brentanos mit der exklaustrierten 
        Nonne war - natürlich - Luise Hensel. Die überkommenen Tagebücher Brentanos 
        sind "purgiert", also von jeder intimen Aufzeichnung Brentanos 
        über Luise Hensel gesäubert. Brentano spricht in dieser Zeit von sich 
        als Pilger, die Emmerick bezeichnet er als Leidensbraut. Brentano versuchte 
        über das "Medium" Anna Katharina Emmerick die "Braut", 
        Luise Hensel", zum Kommen und zur Konversion zu bewegen. In beidem 
        wird er enttäuscht. Die "magischen Kräfte" der Emmerick reichen 
        nicht aus, auch ihre "Gesichte" sind schlicht falsch. Echt ist 
        allein die Hoffnung Brentanos. Als diese enttäuscht wird, weil Luise Hensel 
        heimlich, hinter seinem Rücken konvertierte, fuhr er im Dezember 1818 
        nach Berlin zurück. Wenige Tage nach seiner Abreise verschwinden die Blutungen 
        der Nonne.  
         
        Brentano kehrt zwar bald nach Dülmen zurück, doch seine ursprünglichen 
        Pläne sind zerstört. Zwar hält sich Luise Hensel in der Nähe Dülmens auf, 
        sie wird Erzieherin im Hause Salm (in Horstmar), das Zerwürfnis ist aber 
        so eindeutig, daß es nur noch lose Kontakte gibt.  
         
        Brentano ist über sein weiteres Wirken noch unschlüssig. Zunächst einmal 
        politisiert er, wird deswegen sogar ausdrücklich von der Teilnahme an 
        der staatlichen Untersuchung im August 1819 ausgeschlossen, quasi des 
        Landes verwiesen. Er verfaßte empört einen Bericht über die staatliche 
        Untersuchung. Die Resonanz in der Öffentlichkeit bleibt gering. Zum anderen 
        beginnt er mit der Arbeit an der Geschichte Jesu, in der ihm die Emmerick 
        als Stichwortgeberin dient. Sie ist von diesem Verfahren sehr angestrengt, 
        schließlich muß sie unentwegt als Medium zur Verfügung stehen und hysterische 
        Extasen, die nicht aus sich selbst herausbrechen, sind auf Dauer strapaziös. 
        Die Begeisterung Brentanos und auch der Emmerick kühlt langsam ab. Brentanos 
        Wunsch ist es, sein Werk fertig zu stellen, seinen Werkplan zu erfüllen. 
         
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