Die Wunden
Anzahl, Lokalisierung
Über die Beschaffenheit und Form der Hautdefekte gibt es eine Reihe
verschiedener Quellen, so das Tagebuch Weseners, die Untersuchungsprotokolle
der beiden Kommissionen und Beschreibungen von Ärzten. Übereinstimmend
werden die Wunden an den gleichen Körperpartien lokalisiert: auf dem Rücken
der Hände und Füße, in den inneren Flächen der Hände, sowie unter den
Fußsohlen. Dasselbe gilt für die Hautdefekte im Haaransatzbereich. Unterschiedlich
ist jedoch die Lokalisierung der Wunden am Oberkörper.
Uneinheitlich beschreiben die Quellen ein doppelkreuzförmiges Mal auf
der Brust. Rave findet am 22.2. 1817 feine, rötliche und kreuzförmige
Narbenauf der Brust. Im Juli 1813 erwähnt Rensing ein doppeltes Kreuz
auf dem Brustknochen, Wesener gibt auch den Brustkochen an,ebenso Druffel.
Overberg ortet ein Kreuz an der unteren Brust, ebenfalls Rave, der unter
der rechten Brust eine Narbe findet.
Desweiteren gibt es eine kreuzförmige Wunde über dem Magen, welche weder
mit der Wunde unter der Brust noch mit der Seitenwunde identisch ist.
Beschrieben wird dieses "Magenkreuz" von Dr. Vogt, Limberg,
Overberg, Wesener usw.
Als dreizehnte Wunde findet sich eine seitliche Wunde auf der rechten
Seite zwischen der vierten und fünften Rippe.
Form und Größe
Von den Wunden sind Abdrücke erhalten, die im Redemptoristenkloster Gars
aufbewahrt werden. Die Abdrücke ergeben - wenn sie echt sind - Größe und
Form der Wunden.
Die Wunden auf der Brust hatten die Form zweier aufeinandergestellter
Kreuze in der Art eines verdoppelten Coesfelder Kreuzes. Dieses Kreuz
ist eine Mischung aus einem lateinischen und einem Andreaskreuz, d.h.
der waagrechte Balken ist an den äußeren Enden nach unten durch zwei schräge
Stützbalken mit dem senkrechten Balken verbunden. Die Wunde hatte eine
Gesamthöhe von 10 cm bis 12 cm und eine Breite von oben 3,8 bis 5,5 cm,
unten 3,2 bis 4,5 cm.
Die Seitenwunde hat eine Läge von 5 bis 7 cm.
Die Hautdefekte am Kopf umfaßten den Stirnbereich und vereinzelte Stellen
am Hinterkopf, eine Schätzung nach dem Abdruck dürfte ein Bereich von
etwa 15 x 4 cm verdichteter Punkte im Stirnbereich betroffen gewesen sein.
Die Größe der Hand- und Fußmale entsprachen etwa die eines Zweigroschenstückes,
an den Innenseiten der Hände waren sie kleiner.
Das Magenkreuz hatte etwa gleich lange und breite Balken, wobei sie überproportional
dick waren. Die Balken waren etwa vier Zoll lang und ½ Zoll breit.
Beginn und Ende der Blutungen
Im Mai 1812 verließ die säkularisierte Nonne das Kloster und zog in in
das Haus der Witwe Rothers, nur wenige Schritte entfernt, um. Nach Overbergs
Aufzeichnungen (Angaben Emmericks 1813) zeigte sich die erste Wunde über
dem Magen am 28. August desselben Jahres, dem Augustinustag (Ordensstifter
d. Klosters), also mit einer zeitlichen Versetzung von drei Monaten. Das
untere Kreuz auf der Brust ungefähr sechs Wochen später, am Katharinentag
(Namenstag d. Emmerick, der ist aber im November) ), das obere Kreuz am
Christfest, die Wunden an Händen und Füßen und in der Seite zwischen Weihnachten
und Neujahr. In der Reihenfolge ist diese Aussage richtig, doch sind die
Daten durch nichteindeutige Interpunktion des Originaltextes auch anders
lesbar: "das untere Kreuz auf der Brust ungefähr sechs Wochen nachher,
am Feste St. Catharinae Mart. das obere Kreuz auf der Brust; am letzten
Weihnachtsfest die Wunden an Händen und Füßen und in der Seite zwischen
Weihnachten und Neujahr. Diese Version ist wohl die richtige, weil der
Katharinatag im November und nicht sechs Wochen nach dem 28. August ist.
Der Beginn der Blutungen am Kopf ist nicht genau rekonstruierbar, weil
die Angaben teils voneinander abweichen, teils, was die Stirnblutungen
betrifft, unglaubwürdig sind. Die Emmerick will Schmerzen um die späteren
Wunden am Kopf schon in der Zeit bei dem Organisten Söntgen bekommen haben.
Clara Söntgen bestätigt dies. Drei bis vier Jahre später sollen die Kopfmale
dann geblutet haben. Weder der Arzt Krauthausen, noch irgendeine Person
des Klosters bestätigen diese Angaben.
Im Untersuchungsprotokoll von Rave (1817) findet sich ein anderer Hergang.
A. K. Emmerick will die Wunden 1812 auf einmal, nach einer schweren Krankheit,
bekommen haben. Auch soll die Kopfwunde schon beim Klostereintritt geblutet
haben.
Die Wunden hörten spätestens am Weihnachtstag 1818 auf zu bluten, nachdem
die Hand- und Fußblutungen schon am Karfreitag 1816 endigten. Wie öfter
in den Quellentexten widersprechen sich auch in diesem Punkt die Angaben.
In seinem Entwurf für eine Krankengeschichte, die der Landrat Bönninghausen
angefordert hatte, schreibt Wesener im August 1819, daß im Jahr 1816 nur
die Blutungen auf dem Brustbeine ausblieben, Hände und Füße jedoch bis
1818 regelmäßig freitags bluteten. An Brentano schreibt Wesener im Januar
1819:
Am 23. Dezember aber, es war Mittwochen, blutete abends das Kreuz auf
der Brust und das Seitenmal, am 25. Dezember bluteten beide nochmal und
auch der Kopf heftiger als lange vorher. Dabei blieben die Hand- und Fußmale
trocken. Am 28. Dez. fielen die Krusten von Händen und Füßen ab, die Male
waren verschwunden und bluten seit der Zeit gar nicht mehr, dagegen ergießt
sich das Blut jetzt an den Freitagen aus dem Kopf, aus dem Kreuze und
aus den Seitenmalen, auch einigemale durch Erbrechen aus dem Magen oder
aus der Brust."
Mit den Zeiträumen des Ausbleibens der Blutungen können Bezüge zur Diskussion
um eine neue - staatliche - Untersuchungskommission hergestellt werden,
weil diese Erörterungen wohl nicht ungehört an der Kranken vorübergegangen
sein werden. Vereinzelt sollen die Wunden später noch geblutet haben.
Der Untersuchungskommission war Anfang 1818, als entsprechende Überlegungen
schon sehr konkret waren, jedoch erst einmal das Objekt genommen. Insbesondere
bei Rensing hat die Tatsache der plötzlich versiegenden Blutungen einen
Zweifel genährt, der später in seiner kritischen Revision zur Geltung
kam. Das Ausbleiben der Blutungen 1816 scheint im Zusammenhang mit neuerlichen
öffentlichen Diskursen und in Erwartung einer erneuten Untersuchung gestanden
zu haben. Rensing berichtet dem Generalvikar im Mai von seinen aufkommenden
Zweifeln und begründet sie mit den Zeitungsberichten über die Verurteilung
der Betrügerin Maria Agnese Firrao Romana, einer Franziskanerin, in Rom.
Diese hatte sich Stigmata selbst beigebracht, das Urteil wurde am 14.
Februar 1816 verkündet, kann die öffentliche Meinung der Kleinstadt Dülmen
und damit die Emmerick also bequem vor Karfreitag (12. April) erreicht
haben. Ob hierbei eine unmittelbare Kausalität gegeben ist, sei dahingestellt.
Die zeitliche Nähe des Ausbleibens der Blutungen zu einer drohenden Einsetzung
einer Untersuchungskommission ist jedenfalls verblüffend.
Hergang der Blutungen und Beschaffenheit der Wunden
Die Blutungen erschienen in regelmäßiger Folge alternierend. Wesener
ist der genaue Chronist und Beobachter der Vorgänge. Zunächst, in den
ersten Jahren, bluteten Hände und Füße alle Nachmittage zwischen drei
und fünf Uhr, während die Emmerick in "Betrachtungen" - offenbar
ein tranceartiger Zustand - weilte. Das Doppelte Kreuz auf dem Brustbein
blutete meistens mittwochs, Seite und Stirn freitags.
Waren die Blutungen an sich Gegenstand des öffentlichen Interesses an
der "Stigmatisierten", so war die Beschaffenheit der Wunden
Beobachtungsobjekt der akademisch gebildeten Ärzte und Geistlichkeit,
schließlich gab die Art der Wunden Auskunft über Metaphysik oder Kausalität.
Bis Mitte 1816 sollen laut Rensing schon über 20 Ärzte die Kranke und
deren Wunden inspiziert haben. Wesener scheint der einzige, der den Beginn
der Blutungen genau beobachtet und aufgeschrieben hat. Allerdings hat
er laut eigenen Angaben ausschließlich den Beginn der Blutungen an Hand-
und Fußrücken beobachtet. Er beschreibt den Vorgang:
Der Hergang bei diesem Bluten war folgender, wie ich's hundertfältig beobachtet
und mit der Lupe untersucht habe. Kurz vor dem Blutergusse bemerkte man
eine Turgeszens in den Hautgefäßen, es entstand ein roter Hof um die Stellen
auf den Rücken der Hände und Füße (in den Flächen derselben habe ich denselben
nie deutlich gesehen). Wenn die Kranke bei sich war, so zuckte sie und
wand sich oft vor dem heftigen Stechen, welches sie jetzt in den Malen
empfand. Nun hob sich die Kruste des eingetrockneten cruors, der von der
vorigen Blutung zurückgeblieben war und ich sah eine seröse Feuchtigkeit
hervorquellen, der röteres und röteres und endlich ganz dunkelrotes, klebriges
Blut nachfolgte. Auf dem Brustbeine und am Kopfe habe ich die Entstehung
des Blutes nie beobachten können, denn solange ich beide Teile entblößt
hielt, rötete sich das Kreuz wohl, aber beide Stellen bluteten nicht.
Wahrscheinlich verhinderte dieses die adstringierende Kraft der atmosphärischen
Luft an beiden Teilen, die dadurch empfindlicher geworden waren, weil
sie beständig bedeckt und sehr warm gehalten wurden. Ich habe aber gleich,
sowie ich einige Tropfen Blutes unter der Kopfbedeckung hervorkommen sah,
letztere abgenommen, die Stirn mit lauem Wasser abgewaschen, und entdeckte
nun durch eine gute Lupe die erweiterten Pori, die das Blut ergossen hatten,
und ich kann daher diese Blutungen mit vollem Rechte für ein lokales Blutschwitzen
ausgeben. An der Stirn und rund um den Kopf, wo das Blut in Form einer
Krone hervorkam, konnte ich nach völlig beendeter Blutung nichts mehr
sehen, alles hatte die natürliche Hautfarbe, aber das Kreuz auf dem Brustbeine
und auch das Seitenmal ließen auch im untätigen Zustande längliche Furchen
zurück, die größte Ähnlichkeit mit den natürlichen Furchen in den Händen
hatten. Die Male an Händen und Füßen waren wirkliche Wunden, sie drangen
aber nur bis in die Fetthaut, und ich habe mit der Lupe im Sonnenlichte,
nachdem ich die Blutkruste losgeweicht und eine Wunde auf dem Rücken der
Hand ausgewaschen hatte, die feinen Fettklümpchen in den Zellen deutlich
liegen gesehen.
Noch muß ich eines zweiten rechtwinklichten Kreuzes erwähnen, welches
sich unmittelbar unter dem Nabel befand und durch eine bräunliche Hautfarbe
sich zu erkennen gab. Es war zirka 4 Zoll lang, ebenso breit, die Balken
aber maßen ½ Zoll in der Breite. Aus diesem Kreuze ergoß sich manchmal
der Schweiß stromweise, so daß ein vierfach zusammengelegtes Sacktuch
in 5 Minuten so durchnäßt war, daß man es ausringen konnte. Zuweilen bei
Urinverhaltung bildeten sich Wasserblasen auf diesem Kreuze, als wenn
sie ein Vesikator veranläßt hätte. Wenn die Blasen platzten, waren die
Stellen gleich wieder trocken."
Auch Overberg hatte den Ausbruch der Blutungen beinahe beobachten können,
aber eben nur beinahe. Er beschreibt, wie die Wunden an den Händen anschwellen,
dann aber nicht zu bluten beginnen. A. K. Emmerick erklärt darauf, das
wäre immer so, wenn die Wunden am nächsten Tag (!) bluten würden.
Das Kreuz auf der Brust war durch Einschnitte in die Haut verursacht,
was nach der feinen Definition der Wunde und deren Rändern auch nicht
anders möglich wäre:
"Ich sah nach der Form des Kreuzes kleine kreuzförmige Einschnitte
in der Haut..."
Auch die Seitenwunde hatte einen Schnitt zur Ursache:
"Über dieser Wunde, in ihrem ganzen Verlaufe, war ein bräunlicher,
etwa drei Linien, oder wie wir zu sagen pflegen, einen Pfeifenstiel dick,
breiter Rand, eine Sugillation, die in dem Hautgebilde entstehen muß,
wenn dasselbe in schiefer Richtung durchschnitten oder durchstochen wird.
Dieser sugillierte Rand, den wie ich schon bemerkte, alle übersahen, wenigstens
nicht angaben, war mir sehr auffallend...."
Nach Rensing wollen die untersuchenden Ärzte keine Wunde gesehen haben:
"Das Kreuz und die Seitenwunde liegen, nach Zeugnis der Ärzte in
der gar nicht verletzten Haut, und das Blut dringet daraus hervor wie
der Schweiß aus den Schweißlöchern..."
Overberg entdeckte nach abwaschen des Blutes einen dünnen hellroten Strich
in der Form des Kreuzes.
Wie unterschiedlich die Angaben auch sein mögen, einheitlich ist die Feststellung
einer Sugillation an Brustkreuz und Seitenwunde. Sugillationen - flächenhafte
Hautblutungen - treten sowohl nach Schnittverletzungen als auch bei krankhaften
Blutungsneigungen auf. Dr. Rave fand als Arzt der staatlichen Untersuchungskommission
- also nach Versiegen der regelmäßigen Blutungen - sowohl an der Stelle
des Brustkreuzes als auch der Seitenwunde Narben, was auf eine äußere
Verletzung schließen läßt. Die Wunden an Händen und Füßen hinterließen
teils schwielenartige, teils hautverfärbende Narben.
Die Stirnblutungen werden von allen Beobachtern ähnlich beschrieben. Das
Blut trat aus kleinen, Poren oder Flohstichen ähnlichen Stellen aus, so
daß der Eindruck von Blutschwitzen entstand. Diese Stellen könnten wie
ein Guß bluten. Eine abweichende Schilderung gibt Dr. Bodde.
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